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Chronik

Die Auflösung der Norddörfer Allmende

Die von der Regierung in Kopenhagen angestoßene Verkoppelung zog sich über Jahrzehnte hin. Sie bildete eine komplexe rechtliche Materie. Da die Sylter Norddörfer in Gestalt der Losinteressentenschaften sogar Elemente des altüberkommenen Rechts beibehielten, bildeten sie eine rechtliche Ausnahme. Es sollte sich bald zeigen, dass jedes Dorf einzeln mit seiner eigenen Allmende am besten zu Recht kam. In den Norddörfern kam das so: Die Kampener sahen es nicht mehr ein, dass die Braderuper und Wenningstedter Rindvieh, Schafe und Gänse auf dem Grünland grasen ließen, das – aus ihrer Sicht – bei der Aufteilung allein Kampen zugekommen war. Die Braderuper und Wenningstedter traten für diese traditionell gegebene Möglichkeit ein.

Sie wandten sich im Jahre 1810 an den Sylter Landvogten. Unter anderem beriefen sie sich dabei auf eine Eingabe an den Landvogt und den für Sylt zuständigen Amtmann von Tondern aus dem Jahre 1696, die im Zuge eines anderen Verfahrens gefunden wurde, und zwar im Hause des Hans Clausen in Braderup. Darin heißt es unter anderem:

Nun ist in unser Bauerschaft am Strande ein Stück Landt unter die Dünen angeschlickt [es handelt sich um den Bereich Nielönn an der Sylter Ostküste], worauf Sommers ein wenig Gras an unterschiedenen Orten wächset, darauf die Kampener Unterthanen ihr Vieh schlagen [weiden lassen] und selbes abgräßen, ohne daß sie Ihrer Hochfürstl[ichen] Durchl[aucht] [gemeint ist der Herzog von Gottorf, zu jener Zeit Landesherr über Sylt] bis hie nicht das Geringste dafür geben. Und wie wir nun erwehnter-mäßig mit die Kamper Eingeseßenen in einer Bauerschaft wohnen, hoffen auch dahero Gleichgerechtigkeit mit ihnen zu genießen, und also ... unterdienst-gehorsambst ersuchen und bitten, ... daß wir unser Vieh gleich den Kampener Eingeseßenen auf das zugeschlickte Landt mit aufschlagen mögen.

Der Amtmann ordnete daraufhin an, dass der Sylter Landvogt Steffen Carstens für Gerechtigkeit sorgen möge, er habe „dahin zu sehen, daß Supplicantes [die Antragsteller aus Braderup und Wennigstedt] gleich denen Eingeseßenen zu Kampen die Gräßung zu ihren Viehe genießen, und Ihr[er] Durchl[aucht] davon gerecht wird [also die entsprechenden Abgaben erhält]“.

Hundert Jahre gingen ins Land. Das Amt Tondern und mit ihm die Insel Sylt gelangten zurück unter die Herrschaft des dänischen Königs in seiner Eigenschaft als Herzog von Schleswig. Von der Kopenhagener Zentrale aus gingen die Impulse für tiefgreifende Reformen, von denen eine die Agrarreform war, die das weitaus größte Segment der Gesellschaft betraf. Im Zuge der Teilung hatte nun Kampen ein Stück des zuvor gemeinsam genutzten Weidelandes als Gemeindeeigentum zugesprochen erhalten. Die Kampener wehrten sich nun gegen die gewohnheitsmäßige Mitnutzung durch Braderup und Wenningstedt.

Für die damals Beteiligten ging es um einen wesentlichen Teil ihrer Existenz und war ohne Frage eine ernste Angelegenheit. Die Kontrahenten schenkten einander nichts. Am 4. Januar 1811 gaben die Braderuper und Wenningstedter unter anderem Folgendes zu Protokoll der Landvogtei: Seit einigen Jahren haben die Einwohner des Dorfes Campen sich ein diese drei Norddörfer gemeinschaftliches Stück Weide-Land, welches von der Heide nordwärts von Campen sich längs des Ost-Seite der Sanddünen bis an die Vogelkoje erstreckt, nicht allein ausschließlich zugeeignet, sondern auch ein Theil davon unter sich verteilt, welches sie als Eigenthums-Bauland benutzen. Sie verweigern den Einwohnern von Braderup und Wenningstedt allen Mitgenuß an diesem Weideland. Viele Jahre haben die Unterzeichneten diese Eingriffe in ihre Gerechtsahme geduldet, in der Hoffnung, endlich durch vernünftiges und freundliches Zureden es dahin zu bringen, daß die Einwohner von Campen, unter welchen der gemeinschaftliche Bauernvogt der drey Dörfer sich befindet, eines Besseren besinnen möchten, allein vergeblich haben sie alles angewandt. Ihre Hoffnungen sind getäuscht worden, und endlich glauben sie, daß es Zeit wäre, daß einem jeden sein ihm zuständiges recht widerführe.

Die drei Norddörfer Braderup, Wenningstedt und Campen haben von jeher und beständig unter einer Bauernschaft in allen Fällen gleiche Lasten getragen. Diese Lasten sind insonderheit mit Fuhren nach List, Westerland, Tinnum und Keitum vorzüglich in den letzten Jahren fühlbar gewesen. Seit undenklichen Jahren benutzten die beyden Dörfer Braderup und Wenningstedt dieses Schaf-Weideland zur Gräßung ihres jungen Viehs und ihrer Gänße gemeinschaftlich mit Campen, und niemand ließ sichs einfallen, das Rechtmäßige in Zweifel zu ziehen. Das Locale [die örtliche Gegebenheit] erfordert, daß das Vieh von List und von den Norddörfern durcheinander gräßet. Dieses eingesehen ward von List der Vorschlag gemacht zu einer gemeinschaftlichen Gräßung, und von Campen ohne Zweifel [das heißt also vor allem ohne Rücksprache mit Braderup und Wenningstedt], indem sei sich dazu berechtigt glaubten, unter folgenden Bedingungen angenommen: Campen sollte den dritten Teil des Viehes auf diese Weide schlagen oder, falls sie selbst nicht so viel Vieh haben möchten, auswärtiges Vieh gegen Gräsungsgeld annehmen können. Es ist für einen vorurteilsfreien Menschen wohl schwerlich zu begreifen, wie dei Einwohner von Campen sich haben überreden können, daß dieses eigenmächtige Verfahren der Gerechtigkeit und Billigkeit gemäß sei. Allein, es scheint leider, daß mehrere diesen Wahn hegten und solches zum Theil noch glauben.

Nicht ohne Murren und Unwillen sahen die Einwohner von Braderup und Wenningstedt dieses abermalige Eingreifen in ihre Rechte, allein aus Liebe zum Frieden ließen sie es dennoch eine Zeitlang so gehen. Und dieser Zustand wäre vielleicht noch einige Zeit so geblieben, wenn nicht die zunehmenden gemeinschaftlichen Lasten drückender geworden wären und der anmaßende Ton der Camper nicht neue Ursache zur Unzufriedenheit erregt hätte. Man will uns als Stiefkinder behandeln und, solange es Campen gefällt, uns einen kleinen Mitgenuß an dieser Weide lassen und noch unter Bedingungen, welche nicht verdienen, erwähnt zu werden. Dies sind die Tatsachen, und wir fordern unsere Gegner auf, uns dabey eines Irrthums zu zeihen.

Jetzt sey es uns erlaubt, einige der Einwürfe und seyn sollenden Gründe unserer Gegner anzuführen und in möglichster Kürze zu beantworten. Die Camper sagen: Wir haben ein Stück Land zur Vogel-Koje verkauft. Dies hätten wir nicht tun können, wenn es nicht unser Eigenthum wäre. Wie? Sollte eine Handlund dadurch rechtmäßig werden, weil sie begangen ist? Wodurch beweist Ihr, daß Ihr das Recht dazu hattet, etwa dadurch daß Ihr es an zwey Eurer Miteinwohner und an den damaligen landvogt verkauftet? Könnte dies Euch von der Vorzeigung Eurer Documente und Belege befreyen, so müßten wir es wohl aufgeben. Allein, jetzt fragen wir: Wo ist die Kaufsumme geblieben? Den uns gehörigen Antheil müßten wir jetzt hiermit fordern, so wie wir solches thun.

[Sie sagen:] Der ehemalige Landvogt Herr Justitz-Raht Matthießen hat uns ein Stück Land aus dieser Gräßung als Eigenthum zugemessen. Wie hätte dies geschehen können, wenn wir nicht Eigenthümer dieser Weide wären? Die Unterzeichneten wollen gerne annehmen, daß der mehrjährige Genuß dieses abgesonderten Theils dieser Gräßung, welches die Camper jetzt als Mähe- oder Heuland mit großem Vortheil nutzen, den Einwohnern Campens gewißermaßen eine Erkenntlichkeit für die willkürliche Handlung des Landvogten abnötigen konnte. Allein, es ist kaum glaubwürdig, daß die Campert es deshalb für rechtmäßig erworben ansehen können. Was authorisierte den Landvogten dazu, Braderup und Wenningstedt davon auszuschließen, etwa das Theil davon, welches er sich selbst zumaß und hernach an einen Eurer Mit-Einwohner verkaufte? Wo sind die Documente, worauf diese Handlung sich gründet?
Es ist den Einwohnern Campens nicht unbewußt, daß die von Braderup gemachten Einwendungen wider diese gewaltsame Anmaßung durch die bloße Authorithät des Landvogten unterdrückt wurden. Das Eigenthums-recht an diesem zugetheilten Lande ist also nur ein Usurpation ein gewaltsamer Eingriff in unsere Rechte. Und es ist hohe Zeit, daß wir unseren Antheil auch hiervon erhalten. Daß sie ihrem Vorgehen nach in ruhigem Besitz dieser Weide gewesen sind, wird wohl nicht in Betracht kommen können. Wie lange ist es denn, daß sie diese Gräßung ausschließenderweise ruhig genossen haben? Es sind noch kaum 14 Jahre, daß die andern beyden Dörfer noch Gänße und Vieh darauftrieben, indem sie eine Kleinigkeit als Hüter-Geld bezahlten. Die Camper wollen ausstreuen, daß dieses Hütergeld als Gräßungs-Geld anzusehen ist. Allein, wie sie dazu kommen, ist nicht gut zu begreifen, indem es wohl kaum jemanden in Campen giebt, welcher seine 40 Jahre erreicht hat, der sichs niocht erinnert, daß Braderup und Wenningstedt ehedem selbst diesen Hütter-Lohn verdienten, oder Vieh selbst ihrer Reihe nach hütteten. Der mehrjährige Gebrauch eines an sich gebrachten Gutes kann dessen besitz heiligen? Gewiß nicht! Da nun die Gerechtigkeit und Billigkeit so unwidersprechlich auf unserer seite ist, so können wir auch am Urtheile des wohlw[eisen] Rathes nicht zweifelhaft seyn.
Hans Claußen und Teunis Hanssen Teunis im Namen dieser beiden Dörfer.

Die Kampener hielten mit einer beredten Stellungnahme am 9. Januar 1811 dagegen;
auf die an den Wohlweisen Rath der Insul Sylt eingereichte Beschwerden der beyden Dörfer Braderup und Wenningstedt gegen die Einwohner zu Campen halten die letzten sich verpflichtet, nachfolgendes zu antworten: Nicht allein zeit einigen Jahren, sondern seit undenklichen Zeiten haben die Camper sich dieses Stück erwähnten Landes als ihr alleiniges mit ihrem übrigen Lande verbundenes Eigenthum benutzt und gebraucht. Auch ist es keinem jetzt lebenden Menschen alhie bekannt oder haben etwas dergleichen von ihren Voreltern gehört, dass die beyden übrigen Dörfer je einen Antheil daran gehabt.

Und aus diesem Grunde allein haben sie ohne ihr Verlangen, durch ihre damahlige Landes-Obrigkeit Hr. Justitz-Rath und Landvogt Matthiesen ein Stück dieses Landes zum Mähen ausgelegt erhalten, gleich wie auch derselbe damahls schon einige Coppeln aus unser Gemeinschaftsheide ausgelegt und abgemessen so wie sie das Stück aus eben dem Grunde zu einem Vogel-Koy verkauft. Und wenn unsere Gegners, welche ihre Ansprüche auf dieser Gräßung noch nicht erwiesen und schwerlich beweisen können, dennoch rechtmäßig war, so würde es doch wenn alle Verhandlungen welche seit sieben und dreitzig bis sechs und viertzig Jahr [1774 / 1765] durch Obrigkeit gemacht, jetzt wieder vernichtet werden könn, das Gantze in Chaos zurückfallen und der Streit kein Ende sein. Daß die Braderuper und Wenningstedter sich viele Jahre damit geschmeichelt, dass die Camper ihre Eingrif in die Rechte der beyden Dörfer einsehen sollten, und durch vernünftiges und freundliches Zureden dazu aufgemuntert, ist ihnen eine unbekante Sprache. Daß die drey Norddörfer seit langer Zeit unter einem Bauervogt das Herren-Fahren sämtlich verwaltet, wird zwar nicht geläugnet, dass sie aber insbesondere nie als eine Bauerschaft vereinigt gewesen, ist aus folgenden Gründen unwiedersprechlich erwiesen.

1stens Hat solange die aeltesten Leute allhie sich erinnern können jedes Dorf für sich seine eigne Angelegenheiten besorgt.

2tens Hat jedes Dorf seine eigne Gräntzscheidung sowohl vor als nach der Theilung gehabt, und weil sowohl bei der Theilung des Landes in Braderup als Wenningstede es damahls acht würdige Männer gab, welche diese Theilung selbst betrieben, so ist es unbegreiflich, warum sie nicht die Ansprüche der jetzigen Generation geltend machten, zumahl sie noch dazuunter die ersten Freunde des Herrn Justitz Rath waren, welche wie unsere Gegners behaupten, genugsahme Mittel in Händen, auch wiederrechtliche Handlungen geltend zu machen.

3tens Hat jedes Dorf seine eigene Eintheilung bey der Einkuplung auch sind ihrer Gräntze von verschiedener Größe.

4tens hat jedes Dorf für sich das Recht von seine gemeinschafftliche Ländereyen zu verkaufen, und auch wirklich verkauft, ohne die zwey andern darum zu begrüßen. Welches dann, ohne mehrere Beweise anzuführen klährlich zeiget, dass es nie eine geschlossene Baurschaft gewesen, wie die andern Dörfer hier auf dem lande. Daß Braderup und Wenningstedt ihr junges Vieh nebst Göße auf das benante Stück Land geschlagen, wird nicht geläugnet, aber für Miethe, und da dieses nur wenig war, haben sie selber auch mit fürs Aufkommen gehüttet sowie die Wasserkuhle zu reinigen geholfen, und für die Gänßen an Campen sowie fürsVieh an List bezahlt, welches ihnen aber sowohl als und bekannt, wenn sie nur die inwendige Stimme zu Rathe ziehen. Richtig ungefähr führ 12 Jahren wollten die Einwohner zu List nicht so viele Gäntze über auf ihre Gräntze dulden, sagten daher dass wenn wir die Braderuper und Wenningstedter Gänße abschaffen wollten, wollten sie die Camper allhie noch dulden, welches denn auch, aber gewiss nicht ohne Murren geschah, weil wie sie immer sagten, sowohl selbige hütteten als bezahlten.
Daß das Locale erfordert eine gemeinschaftliche Gräßung mit List zu unterhalten ist unläugbar und dass deswegen auch eine Übereinkunft mit Campen geschlossen, worin diese den Drittel des Viehgeldes haben sollte, ist allerdings wahr, allein niemahls hetten wir auch nur vermuthen können, dass Braderup und Wenningstedt dadurch beeinträchtigt, weil wie gesagt und wie bewusst, dass sie Antheil an dieses Land hätten.
Alles, was die beyden Dörfer gethan haben, in der Güte mit uns abzufinden,ist, dass sie beydes Vieh und Gänße haben wollten. Ersteres haben wir ihnen laut einer darüber zu verfassenden Rechnung gleich den unsrigen zugestanden, und letzters käönnen wir wegen die Folgen der Trennung von List nicht eingehen:

1stens Daß wir oder unsere Vorfahren schohn vor 46 Jahren [1765] einen Stück der oft erwähnten Gräßung zu einen Vogel-Koy verkauft, sind die Ursachen oben dargethan.

2tens dass der ehemalige Hr. Justitz-Rath und Landvogt Matthiesen ein Stück von diesem Weideland ohne unser Verlangen ausgetheilet, beantworten wir wie zuvor, weil wir meinen, dass es uns zugehört. – Ist es aber laut unsern Gegners Aussage gesetzwiedrig geschehen, darin können wir nicht entscheiden, sondern müssen müssen es höhere Entscheidung überlassen, und der Verstorbene kann sich nicht verantworten. – Daß die Einwohner zu Braderup Einwendungen gegen diese Theilung gemacht, ist uns nicht bekannt, allein, dass sie wegen der Gräßung vermuthlich auf das bekante Supplice und Decret Ansprüche machten, ist uns bewusst.

3tens Daß wir dieses Land seit undenklichen Zeiten in ruhigem Besitz gehabt, bestätigt selbst obiges Supplice.
Wir läugnen gar nicht, dass es nicht lange her, dass die beyden Dörfer beyder Vieh und Gänße dorte hatten, aber für Bezahlung, wiewohl es nur wenig wie oben erwähnet. Daß unsere Gegners dies als Hütter Geld annehmen, ist ja ein Wiederspruch. denn man kann doch wohl nicht Hütter-Geld bezahlen und selbst hütten. … Sondern es ist in der That und Warheit Gräsungs-Geld, aber dies stehet ihr Eigenthumsrecht im Wege.
Nach ihren Äußerungen sollte man nur 40 Jahre zurückgehen, alsdann hätten sie unsere Gegners das Hütter-Geld selbst verdienet, welches wohl soviel sagen sollte, und dann nichts weiter bezahlt. – Das können sie am besten ihre Kinder erzählen.
Es ist gantz wahr, dass das Herren-Fahren schon lange gemeinschaftlich geleistet, woher das aber seinen Ursprung hat, können wir nicht entscheiden, als dass es vermutlich eine obrigkeitliche Anordnung ist, wegen der kleinen Dörfer. Auch diese Fuhren nemlich nach List haben wir ihnen vor einige Tage allein zu übernehmen angeboten, aber nicht angenommen.
Zu desto größere Beweis ihrer vermeinte rechtliche Forderungen fügen sie noch ein über 100 Jahr altes Supplic und Decret bey, welches wir große Ursache zu glauben haben, dass es nie Prod: oder in Krafft gewesen, weil es nicht zu glauben, dass die Vorwesers in Braderup so gantz gleichgültig gewesen, dieses zu vernachlässigen, wie sie es selber nennen.
Mithin gehet das Wennigstäde gar nicht an und beweiset um so mehr, dass Campen schon damahls von oft erwähnte Gräßung den alleinigen Genuß gehabt, und dass vermuthlich aus dem Grunde, weil es sich allein ans Camper feld anschließt, wie zuvor erwähnet. Nun kommen sie mit ihre eigene Gerechtigkeit und Billigkeit und bestimmen darnach das noch zu erwartende Urtheil.
Jetzt wollen unsere Gegners forthin alle Lasten mit uns Camper tragen, da es doch den Local-Umstände gemäß gantz unmöchlich, solches zu thun, fürnemlich bei jetziger Zeiten. denn das Herren-Laufen der Camper übertrift bey weitem alles Herren-Fahren zusammen genommen für dieses letztes Jahr. – Man möchte denn einwenden, dass dieses nur den Menschen und nicht das Vieh angehet. – Denn es ist nicht thunlich, einen eiligen Bothen (wie die mehrsten gewesen), so lange warten zu lassen bis man jemand aus die andere Dörfern herholte, und noch dazu das was18
ser in Campen macht und viele Beschwerden, wiewohl dieses nicht ihre Schuld ist. – Zudem den übergroßen Landweg zu machen und zu unterhalten, und mehrere Ursachen machen die Lasten so sehr ungleich, welche auch theils ein Ursach, dass der Bauervogt allhie.
Nicht, dass wir von unsere Gegeners Klage überfürt sind von ihrer Rechtmäßigkeit, sondern bloß allein den Streit beizulegen, wollen wir unsere zuvor an beyden Dörfern gemachte Worte heidruch nochmals wiederhohlen, erweitern und bestätigen.
1stens wollen wir all ihr junges Horn-Vieh welche sie selbst überfüttern, gleich den unsrigen gräßen ohne weiter Bedingung, als dass sie die Gräsungs-Lasten nach einer jährlich darüber zu haltenden Rechnung gleich mit uns tragen. –
2tens so wollen wir alles Herren-Fahren von und nach List gäntzlich und allein ohne Ausnahme übernehmen, und weil wir so in Campen nur eine kleine Versammlung, könnte es leicht fallen, dass derjenigen, der die Tour nach List hätte, auch nach Syden treffen konnte, und darum hatten wir ihnen zugemuthet, dass sie die Fuhren von Campen nach Syden übernehmen möchten. – Sollten sie aber dennoch glauben, dass es zuviel gefordert, dann werden wir auch noch die Tour auf Braderup übernehmen, zumahl dieses der Landweg außer Westerland ist.
Das Übrige, worauf ihre Forderung am Schlusse sicherstrecket, ist mehrmahlen zur Genüge beantwortet. – Überdem, so können wir annoch hinzufügen, dass bey der allgemeinen Theilung des Landes dieses erwähnte Gräßung nie zur Sprache gekommen, sondern als etwas an unser Landt anschlickendes Eigenthum betrachtet.
Wir hegen demnach die gewisse Zuversicht, dass einen wohlweisen Rath Angefürtes in Erwägung nimt, und erwarten demnächst getrost und Ehrfurchtsvoll ein billiges als gerechtes Urtheil.
Campen, den 9ten Jan. 1811
im Nahmen des Dorfs Claus Boysen, Ebe Bleicken.
Die Braderuper und Wenningstedter waren sich ihrer Sache also recht sicher. Die massiven Korruptions-Vorwürfe gegen den Justizrat und Landvogt Mathiessen – übrigens ein Enkel des berühmten Walfängers Mathias Petersen von Föhr–, der die Kampener bevorteilt und die Einsprüche dagegen kraft seiner „Authorität“ „unterdrückt“ habe, kamen aber vielleicht bei der Verhandlung in der Landvogtei am 22. Januar 1811 nicht so recht an. Es wurde dort ein Vergleich geschlossen, der doch einigermaßen deutlich zugunsten der Kampener ausging.
Darin heißt es unter anderem:
I. Es renoncieren [widerrufen] und leisten die Eingeseseenen der Dorfschaften Braderup und Wenningstädt hiemit aus Liebe und neigung zum Frieden für sich und ihre Erben und Nachkommen in optima forma juris [in bester Rechtsform] und bündigstermaßen auf ihre ... bey der Landvogtey zur Verhandlung vor dem Sylter Rath eingereichte Klae, worin sie
1 um die Zuerkennung des rechts der Mitbenutzung gewißer Ländereyen, die die Dorfschaft Campen für ihr ausschließendes Eigenthum hält, für die Zukunft;
2 um Hinzulegung und Wiedervereinigung eines davon getrennten Theils dieser Ländereyen mit demselben bitten, im übrigen aber die Lasten der Bauerschaft gemeinschaftlich mit der Dorfschaft Campen zugleich mit den Mitgräßungslasten zu tragen sich anheischig machen feierlichst Verzicht, entsagen aller ferner daraus zu formirenden Ansprüche, und werden selbige durch diese Acte gäntzlich und auf einmahl hinfällig.
II. Versprechen und verbinden sich die Eingesessenen der Dorfschaft Campen dagegen für sich und ihre Erben und Nachkommen hiemit und kraft dieses ebenfalls aus friedliebender gesinnungsart und ohne dadurch die Prätensionen [Ansprüche] ihrer Gegner als Recht eingeräumt zu haben, vielmehr als freiwilliges Anerbieten:
1 daß sie das junge Horn-Vieh der jetzigen und künftigen Eingesessenen zu Braderup und Wenningstedt, die bebaute Staven [Bauernstellen] besitzen, welche dieselben selbst durchfüttern, ihrem Jungvieh gleich auf dem [in Frage stehenden] Land ohne weitere Bedingungen gräßen laßen wollen. –
Wohingegen die Eingesessenen der Dorfschaften Braderup und Wenningstedt sich anheischig machen, daß diejenigen unter ihnen, welche Vieh auf dieses Land mitschlagen, die Gräsungslasten nach einer darüber jähbrlich abzufaßenden Bestimmung und Rechnung gemeinschaftlich und gleich mit den Eingesessenen der Dorfschaft Campen tragen und abhalten sollen, unter welche Gräsungslasten der gemeinschaftliche Hirtenlohn und die Vergütung an Licht verstanden wird.
2 Daß sie alle Herrenfuhren und alles Laufen [Botengänge] nach List und von daher bis Campen privative [allein] von nun an und ausschließlich auf alle Folgezeit allein übernehmen und leisten wollen; wohingegen die Eingesessenen zu Braderup und wenningstedt sich für sich, ihre Erben und Nachfolger bereit und willig erklären, alle Fuhren und das Laufen von Campen nach Syden allein zu bestreiten, wenn sie dazu angesagt werden.
III. Damit indeß diese Verbindlichkeit nicht länger dauere, als die [fragliche] Gräsung oder das Land selbst wirklich existirt und vorhanden ist; so setzen und bestimmen die Eingesessenen der Dorfschaft Campen den Zeitpunkt, wenn das Land zur Gräsung untauglich oder gantz vom Flugsande oder Seewasser verschlungen seyn wird, als terminum ad quem [Schlusszeitpunkt] dieser eingegangenen Verbindlichkeit, so weit sie nemlich die Gräsung betrifft.
Sowie nun Consignaten [die vertragsschließenden Parteien] sich mit und zu allem vorstehenden frey und unumwunden zufrieden und willig erklären, so geloben und versprechen sie auch, selbiges alles fest und unverbrüchlich unter Entsagung aller dawider erdenklichen Einreden und Ausflüchte insonderheit der Arglist, der Beredung, des nicht so sondern anders eingegangenen Vergleichs, nicht minder der allgemeinen Rechtsregel, daß eiun allgemeiner Verzicht nicht binde, wenn nicht ein besonderer vorhergegangen, zu halten, zu bekräftigen dieses bei Verband ihrer sämtlichen Güter mittelst eigenhändiger Unterschrift.
Hans Claußen, Teunis Hanßen Teunis, Claus Boysen, Ebe Bleicken.
Eine in diesem Zusammenhang ausgestelltes „Blanquet“, also eine General-Vollmacht bietet wiederum ein kleines Porträt der Kampener Land besitzenden Bevölkerung.
Blanquet
Zur Vollmacht für Claas Boysen und Ebe Bleicken in Campen in Streitsachen wider die Dorfschaften Braderup und Wenningstedt wegen Mitgenußes an gewissen Ländereien samt was dem anhängig, ganz nach Vorschrift der Landgerichtsordnung zu ergänzen. Ausgestellt Campen, d. 9ten Jan. 1811 und von nachstehenden Personen eigenhändig unterschrieben.
Jens Bleicken
Ebe Eben
Kressen Dirk X Boysen
selbst gezogenes Creutz
Moiken Manne X Mannes
selbst gezogenes Creutz
Thomas Lorentzen
Kressen Manne X Rinken
selbst gezogenes Creutz
Kressen Andresen
selbst gezogenes Creutz
Cornelius Petersen Dahl
Kaiken Ib X Ibsen
selbst gezogenes Creutz
Inken X Lorenzen
selbst gezogenes Creutz
für Nickleu Knutzen dessen Erbe und Schwiegersohn Peter Andresen
Inge … Lorenz
Andreas X Gilliamsen
selbst gezogenes Creutz
Friederich J. Becker
Meuken Meinert Lorentzen
Andres Andresen
Kressen Peter Jens X Eben
Peter Peter Hansen
Anna Hendricks
Das „selbst gezogene Creutz“ bei einigen der Kampener zeigt die Grenzen der Lese- und Schreibfähigkeit. Der Gebührenquittung ist zu entnehmen, was die wirtschaftliche Eigenständigkeit kostete: Für eine Abschrift der „Gegennothdurfft“: zwölf Schilling, für die „Entwerfung einer Vollmacht“: ein Taler, für den Termin zur Unterschriftsleistung: zwei Taler, für den Termin zur Verabschiedung des Vergleichs: 24 Schilling, für die Ausfertigung desselben auf amtlichem Papier: zwölf Schilling, für Auslagen: 41 Schilling. Zusammen: vier Reichstaler 41 Schilling.