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Chronik

Zwischen den Kriegen

Nach dem Ersten Weltkrieg dauerte es einige Zeit, bis das normale Leben in Deutschland, auf Sylt und in Kampen wieder Fuß fassen konnte. Die Phase der Normalität sollte dann ja auch nur einige Jahre dauern, bis die NS-Zeit und der Zweite Weltkrieg zu einer weiteren tiefen Zäsur führten.

Auf der mondänen Insel Sylt und speziell in Kampen, dass sich bereits damals zu einer Hochburg für Künstler, Reiche und Schöne zu mausern begann, waren die „Goldenen Zwanziger“ sicherlich eine besonders glänzende Zeit. Auch die Angehörigen der Losinteressentenschaft hatten als alteingesessene Kampener sicherlich ihren Anteil daran. Die Geschäfte der Interessentenschaft trugen aber weiterhin vertraute Züge. Es ging stets vor allem um die Verwaltung der Lose. Die Unterlagen bilden ein eindrucksvolles Zeugnis für die Vergänglichkeit der menschlichen Existenz. Todesfälle und manchmal komplizierten Erbschafts-Verfahren gestalteten die Aufgabe, das Land innerhalb der Interessentenschaft zu halten, oft schwierig.

Im Brief eines Rechtsanwalts heißt es beispielsweise: „Frau Kropp geb. Lisbeth Möller war mit einem Dr. Kropp in Wyk auf Föhr verheiratet. Aus dieser Ehe stammen 4 Kinder im Alter von 17 – 15 – 14 - 11 Jahren. Die Mutter Thilde Möller, geb. Klucke (?) aus Kampen hat ihrer Tochter Frau Kropp das ihr gehörige 1/15 Los der Interessentenschaft vermacht. Frau Kropp ist [unerwartet gestorben]. Nach § 6 unserer Statuten heißt es: Geht ein Anteil eines Losinteressenten auf eine Mehrheit von Erben über oder treten durch Rechtsgeschäfte eine Mehrheit von Erben an die Stelle eines Interessenten, so haben diese der Losinteressentenschaft gegenüber einen Vertreter zu bestellen. Hier wäre nun die Frage zu klären, an wen Frau Kropp, geb. Möller ihr 1/15 Losanteil vermacht hat, an die 4 Kinder, den Mann oder ob sie überhaupt keinen Erben für den 1/15 Losanteil bestimmt hat.“ Man hat schließlich sicherlich eine Lösung gefunden. Inzwischen gilt der Grundsatz, dass Verkäufe von Losanteilen lediglich innerhalb der Interessentenschaft stattfinden können.

Eine ähnliche Konstellation erscheint in einer Aufstellung, die das Westerländer Amtsgerichts am 27. Mai 1921 an den damaligen Interessentenschafts-Vorsteher Jens Bleicken sandte, die den Besitzstand dokumentiert:

Auf Anordnung des Amtsgerichts wird mitgeteilt, dass
1) die Witwe Marie Wilhelmine Bleicken geb. Jessen in Keitum, Seminarist Bleicke Peter Bleicken in Keitum, Kaufmann Paul Nicolai Bleicken in Schleswig, Ida Dorothea Bleicken in Keitum, geb. 1. 4. 04, in fortgesetzter Gütergemeinschaft nach dem verstorbenen Nicolai Bleicken [sowie] Meinert Bleicken in Schleswig, Ehefrau Dora Pahl geb. Bleicken in Kampen, Ehefrau Dora Pahl geb. Bleicken in Kampen in ungeteilter Erbengemeinschaft nach Bleick Meinert Bleicken und Ida Marie Bleicken geb. Hansen zu 2/40
2) Witwe Elise Bleicken geb. Prott in Keitum zu 1/40
3) Witwe Matilde Lassen geb. Kayser in Keitum zu 1/40
4) Landmann Meinhard Kundsen in Kampen zu 1/40
5) Landmann Boy Sörensen in Kampen zu 2/40
6) Hotelbesitzer Max Nann in Kapmen zu 2/40
7) Arbeiter Johannes Johannsen in Kampen zu 1/40
8) Landmann Jürgen Peter Kamp in Kampen zu 8/40
9) Landmann Jens Bleicken in Kampen zu 8/40
10) Landmann Seier Jepsen in Kampen zu 1/40
11) Landmann Paul D. Paulsen in List zu 1/40
12) Kaufmann Peter Brodersen in Kampen zu 2/40
13) Landmann Adolf Risch in Kampen zu 1/40
14) Landmann Tetjen Christiansen in Kampen zu 2/40
15) Landmann Ingwer Ehlers in Kampen 2/40
16) Landmann Peter Marius Hansen in Kampen zu 2/40
17) Witwe Friederike Dressler geb. Jürgensen in Kampen zu 2/40
Sie hatte den Anteil von ihrem Mann dem Gastwirt Otto Dressler geerbt, der ihn seinerseits erst 1919 übernommen hatte.
18) Landmann Martin Knudsen in Kampen zu 1/40 auf Grund der Auflassung vom 4ten Mai 1921 am 27. Mai 1921 als Miteigentümer der in Norddorf belegenen im Grundbuch von Norddörfer Band 1 Blatt 123 eingetragenen Grundstücke eingetragen worden sind.“

Dreieinhalb Jahre später, am 18. August 1924 wendet sich der Westerländer Rechtsanwalt und Notar W. Zeidler an den inzwischen ins Amt gekommenen neuen Vorsteher der Interessentenschaft Jürgen Kamp, der ja neben seinem Vorgänger Jens Bleicken auch der größte Anteilseigner war. Es heißt darin: „Vom Grundbuchamt habe ich nunmehr die Nachricht erhalten, dass die jetzigen Miteigentümer der früher der sogenannten Kampener Losinteressentenschaft gehörigen Grundstücken (Norddörfer Band I Blatt 123) folgende sind.“ Es folgt eine Liste, die mit der obigen aus dem Jahre 1921 identisch ist, aber als Antwort muss Jürgen Kamp bereits wieder von neue eingetretenen Sterbe- und Erbfällen berichten.

Bevor die „goldenen“ Jahre anbrechen konnten, war auch in Kampen die Inflation zu spüren, eine Folge der Kriegsfinanzierung. Im März 1922 wurden 14.000 Mark an die Interessenten ausgezahlt, ein Betrag, der vor dem Krieg einem ziemlichen Vermögen entsprochen hätte. Je Losanteil gab es 350 Mark, diejenigen mit zwei Anteilen erhielten je 700 Mark, die beiden mit je acht Anteilen demzufolge jeweils 2.800 Mark. Man kann nur hoffen, dass die Interessenten dieses Geld schnell nutzbringend ausgaben, denn in den darauf folgenden Monaten bis in den Herbst 1923 verlor die deutsche Währung weiter dramatisch an Wert. Im Jahre 1923 war die Interessentenschaft in der glücklichen Lage, Auszahlungen in Devisen, also in „harten“ auswärtigen Währungen vornehmen zu können. Vorhanden waren 50 niederländische Gulden, zehn Schweizer Franken, 100 schwedische Kronen und 400 Dollar. Die Auszahlungen insgesamt entsprachen 89 Billionen, 445 Milliarden, 400 Millionen Mark. Nach der Währungsreform waren am 1. Januar 1924 noch 50 Gulden und fünf Dollar vorhanden, was einem – dann wieder begreifbaren – Gegenwert von 97,50 Rentenmark entsprach.

Das über die Losinteressentenschaft abzuwickelnde Finanzvolumen bewegte sich damals insgesamt in bescheidenem Rahmen, es ging nur im krassen Ausnahmefall der Inflation um Millionenbeträge. Das zeigen Vermietungslisten aus den Jahren 1924, als die Landnutzung zum Beispiel durch die Gewinnung von Dünenhalm oder durch Hebbeln nicht mehr als 188 Mark und 30 Pfenning ergab, und 1928, als sogar nur ganze 32,10 Mark in die Kasse kamen. Etwas einträglicher war die Vergabe der Gemarkung Gröning für die Schafweide. 1924 ging eine Liste mit folgender Aufforderung auf der Versammlung herum: „Die nachstehenden Mitglieder werden ersucht, hierunter angeben zu wollen, wie viele Schafe dieselben diesen Sommer auf Gröning gräsen lassen wollen. Als Weidegeld ist festgesetzt für Mitglieder 2,- M u. für Nichtmitglieder 10,- M pro Schaf. Letzteres auch für Mitglieder, die auf 2/40 Anteil mehr als 24 Schafe bzw. auf 1/40 Anteil mehr wie 12 Schafe gräsen lassen.“ 22 Besitzer ließen insgesamt 162 Schafe auf die der Interessentenschaft gehörige Weide gehen und bezahlten dafür insgesamt 486 Mark. 210 Mark kamen dabei allein von Nichtmitgliedern, die 21 Schafe hielten. Auf der Liste wird unter Nr. 22 einem gewissen Herms für seine neun Schafe 180 Mark, also 20 Mark pro Kopf in Rechnung gestellt, wovon er offenbar 90 Mark bezahlt hatte, weiter 90 werden als „rückständig“ angeführt. Sonderkonditionen oder Irrtum?

Für Pfennige pro Quadratmeter verkaufte die Losinteressentenschaft wohl bereits 1908 das Land, das für den Bau der Sylter Inselbahn von Westerland nach List benötigt wurde, ebenso weitere Stücke für den Ausbau in den 1920er Jahren. Die Bahn stellte 1970 den Betrieb ein. Entlang der Trasse, die als Fahrrad- und Wanderweg dient, sind Versorgungsleitungen verlegt und es findet dort in jedem Frühjahr der Sylt-Marathon statt. Vor dem Ersten Weltkrieg und in den 1920er Jahren war offenbar noch nicht in letzter Konsequenz abzusehen, wie kostbar das Sylter, besonders das Kampener Land einmal werden würde.

Mit 58 Stimmen erzielte die NSDAP in Kampen bei der Reichstagswahl im November 1932 knapp 44 Prozent der Stimmen, auf Sylt insgesamt waren es knapp über 50 Prozent, im Kreis Südtondern mehr als 68 Prozent. Kampen war also keine NS-Hochburg, obwohl das Ergebnis rund sechs Punkte über dem Reichsdurchschnitt der Hitler-Partei lag. Eine prominente Verbindung zur NS-Spitze ergab sich durch Reichsmarschall Hermann Göring, der höchste Ämter in Staat und Partei innehatte und sich oft auf Sylt und auch in Kampen aufhielt, um hier Urlaub zu machen. Von hier aus ging der „Reichsjägermeister“ zum Beispiel auf Seehundsjagd. Er setzte sich auch für den Schutz der Hochheide ein, die an sein Blockhaus an der Straße nach List grenzte. Möglicherweise wollte er die Bebauung verhindern, weil er keine zu nahe Nachbarschaft wünschte. Inzwischen ist das Gebiet besiedelt.

Die Losinteressentenschaft als solche wurde vom Nationalsozialismus nicht berührt. Ihre Geschäfte liefen weiter und die Mitgliedschaft in ihr hat wohl kaum Einfluss auf die politische Einstellung oder etwa auf die Kriegsschicksale einzelner Angehöriger gehabt.